Salam Alaykum,
Im Dezember nahm ich an einer Veranstaltung teil, in der es um die Geschichte des sogenannten Nahost-Konfliktes ging. Sie fand in einem Hörsaal einer deutschen Universität statt, organisiert von Muslimischen Studierenden unter schweren Auflagen. Es war eine Veranstaltung die nicht so verlief wie es die Organisator*innen planten, der Redner stand wohl unter Druck, ob er seine eigene Meinung preisgeben konnte steht unter Frage. An anderen Universitäten werden Veranstaltungen verboten und Raumvergaben verweigert. So wurde hier in Aachen ein Vortrag von Phoebe Walton (Forensic Architecture/Forensis) an der RWTH im Rahmen der Montagabendgespräche des Lehr- und Forschungsgebiet Architekturtheorie abgesagt. Sie fand stattdessen Online, außeruniversitär, mit über 240 Teilnehmenden statt. In Kassel beendete die Rektorin der Universität eine Gedenkfeier für den am 24. Oktober getöteten Kasseler Studenten Yousef Shaban durch die Israelischen Bombardierungen. Es steht schlecht um die Meinungsfreiheit an deutschen Universitäten und erinnert doch daran, dass Freiheiten erkämpft werden müssen.
Die Universität als Institut der höheren Wissenschaften hat eine lange Geschichte die bis in die Antike reicht. Teil der Dekolonialisierung der Universität ist es, diese Geschichte nicht nur im mittelalterlichen Europa zu verorten. Mit dem Haus des Lebens, Per-Ankh, gründeten Altägypter 2000 BCE Orte für höhere Bildung. Diese Vorläufer zur klassischen Universität waren oft zunächst Bibliotheken, so auch zum Beispiel die Bibliothek von Alexandrien, in denen wissenschaftliche und religiöse Werke produziert und aufbewahrt wurden. Im 5. Jahrhundert wurde im Ostindischen Nalanda unter der Hindu Dynastie der Gupta ein buddhistisches Kloster als Lehrzentrum erbaut, in dem auch Chinesische Gelehrte finanziell unterstützt wurden.
Auch in der islamischen Welt erbauten Geldgeber*innen Moscheen und Bibliotheken die sich im Laufe der Zeit zu Madrasas (Ort der Lehre) und dann zu Universitäten entwickelten. Der älteste, noch bestehende Ort weiterbildender Lehre ist die von Fatima al-Fihri zwischen 857-859 gegründete, Universität al-Qarawiyyin in Fez. Das heutige Historiker sich darum streiten, ob es wirklich so gewesen ist, dass Fatima und Mariam, zwei Schwestern, zwei Moscheen in Fez finanzierten sei dahin gestellt. Mit dem Seljuk Großvisier Nizam al-Mulk fand der Start der Institutionalisierung der Bildung mit der Gründung der Nizamiyya in Baghdad als auch verschiedener Madrasas in den zentralen Provinzen der islamischen Welt statt. Mit diesen Institutionen vereinheitlichte Nizam al-Mulk die islamische Lehre unter bezahlten Lehrern zu einem mehr oder weniger abgestimmten Lehrplan besonders in der theologischen Glaubenslehre (Aqidah).
Im Gegensatz zur Universität Paris zum Beispiel, waren diese Institutionen laut Findikli keine Korporationen oder legale Personen, die autonom handeln konnte, eigene Rechte hatten, klagen durften und verklagt werden konnten. Sie wurden unter den festgesetzten Bedingungen der Waqf (Stiftung) geführt die sie betrieb. Auch die Berechtigung zum Unterrichten das diese Institutionen ihren Absolventen*innen gaben, waren anders. Europäische licentia docenti wurden im Namen der Kirche vergeben und hatten damit offizielle und institutionelle Bedeutung wo islamische Ijazat nicht standardisiert und eher individueller Natur waren. Dies gab den islamischen Instituten aber einen gewissen Maß an akademischer Freiheit. Student*innen waren nicht an dem Lehrplan einer Institution gebunden sondern konnten gezielt eine*n Lehrmeister*in auswählen. Dies führte jedoch auch zu theologischen Auseinandersetzungen verschiedener Schüler, die in einigen Fällen, wie der Fitna von Al-Qushayri außerhalb einer Moschee, auch tödlich endeten. Unterschiedliche Herrscher nahmen verschiedene Positionen ein und ließen Gelehrte anderer Meinungen einsperren um Einheitlichkeit in der Gesellschaft und ihre religiöse Autorität durchzusetzen. Der Abbasidische Kalif Al-Ma’mun rief zum Beispiel den Großgelehrten Ahmad ibn Hanbal zur Mihna (Inquisition), in dem er die theologische Doktrin der Mu’tazila annehmen sollte. Welches dieser ablehnte und so auf Lebenszeit des Kalifen im Gefängnis verweilte und vom Nachfolger ausgepeitscht wurde. Das Großgelehrte wie Ahmad ibn Hanbal, Abu Hanifa oder auch Ibn Taymiyyah (rah.) für ihre Standhaftigkeit zu ihrem Glauben und der Integrität ihrer Lehre bereit waren Jahre in Gefängnissen zu verweilen, inspiriert heute noch immer.
Die Universität Bologna als älteste Universität Europas wurde im 11. Jahrhundert aus studentischen Zünften (universtates scholarium) gegründet um Privilegien und rechtlichen Schutz für ausländische Studenten zu erlangen. Diese heuerten dann Lehrer an, um sie zu unterrichten und hatten durch den Zustrom ausländischen Kapitals ein Druckmittel in Kollektivverhandlungen gegenüber der Stadt. Durch den Aufruf oder der Drohung von Studenten Streiks konnten Studenten*innen Änderungen am Lehrplan oder der Bezahlung von Professoren durchsetzen. Diese konnten sogar durch alle Studenten*innen, in einem Mehrheitsvotum, gefeuert werden. Auch an europäischen Universitäten gab es aus verschiedenen Gründen gewaltvolle Auseinandersetzungen.
Meinungsverschiedenheiten gehörten schon immer zur Universität sowie die Auseinandersetzungen die daraus folgen. Wenn wir über Protest und Universität sinnieren ist die 1968er Bewegung nicht fern. Die Bewegung hatte aber auch Vorläufer, zum Beispiel die Free Speech Movement 1964 an der University of California, Berkeley aber auch nicht zu letzt in den Bürgerrechtsbewegungen und das Agieren Schwarzer Student*innen an Universitäten. Die Free Speech Movement entfachte aus der Unterbindungen der politischen Aktivitäten von (linken) Studentengruppen durch die Universitätsleitung. Schon vorher wurden Aktivist*innen wie Malcolm X Redeverbot an der Universität erteilt. Es wurde zum Streik aufgerufen, eine Sitzblockade durch Polizisten geräumt und über 700 Student*innen verhaftet. Professor*innen solidarisierten sich daraufhin mit den verhafteten Student*innen, bezahlten ihre Kaution und bewegten die Universitätsleitung zur Gesprächsbereitschaft mit den Student*innen. Schließlich gab die Leitung nach und hob ihr Verbot auf.
Meinungsdifferenzen können Spannungen hervorrufen, die in Gewalt enden könnten. Universitäten sind natürlich darauf Bedacht dies soweit es geht zu unterbinden. Gleichzeitig verstümmeln Universitäten die freie Meinungsäußerungen der Student*innen wenn sie ihnen keine Plattform geben ihre Meinung in einem sicheren Rahmen zu äußern. Wo ist es besser an seinen Meinungen und Argumenten zu feilen als an den Universitäten dieses Landes?
Als Student*innen sollten wir uns ein Beispiel an den Studentenbewegungen der Vergangenheit als auch am Agieren anderer Student*innen an Universitäten des Landes sowie im Ausland nehmen. Student*innen die an ihren Universitäten Blockaden und Proteste organisieren, ihre Universitäten dazu bringen Investitionen in Firmen die Waffen nach Israel exportieren zu stoppen und vieles mehr. Wir müssen lauter werden, wir haben so viel Potenzial wenn wir es nur ausschöpfen würden. Wir dürfen unsere Palästinensichen Mitstudierenden in dieser Zeit nicht allein lassen. Solidarität jetzt und überall!
Wa Alaykum Salam,
Abdur-Rahman
Literatur:
RETHINKING ANCIENT CENTERS OF HIGHER LEARNING: MADRASA IN A COMPARATIVE-HISTORICAL PERSPECTIVE Burhan von Burhan Fındıklı
The University and the City: Cultural Interactions von David A. Lines
Reconciling Reason and Revelation in the writings of Ibn Taymiyya (d. 728/1328): An analytical Study of Ibn Taymiyya’s Dar’ al-ta’arud von Dr. Yasir Qadhi
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